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Verweigern Eltern ihren Kindern beharrlich den Besuch staatlich anerkannter Schulen, kann insoweit der Entzug ihres Sorgerechts in Betracht kommen

- Oberlandesgericht Celle ordnet teilweisen Sorgerechtsentzug in einem Fall an, in dem Kindern der Schulbesuch und Kontakte außerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft vorenthalten werden -


CELLE. Eltern kann das Sorgerecht für ihre Kinder teilweise für den Bereich schulischer Angelegenheiten entzogen werden, wenn sie sich der Beschulung ihrer Kinder auf einer staatlich anerkannten Schule beharrlich verweigern und für ihre Kinder deshalb die Gefahr besteht, weder das erforderliche Wissen noch erforderliche Sozialkompetenzen erlernen zu können. Das hat der für Familiensachen zuständige 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle mit Beschluss vom 2. Juni 2021 bestätigt (Az.: 21 UF 205/20).

Die einer freikirchlichen Gemeinde zugehörigen Eltern von insgesamt sieben Kindern sehen sich aufgrund ihres Glaubens verpflichtet, ihre Kinder von Einflüssen fernzuhalten, die den Geboten Gottes zuwiderlaufen. Die Mutter der Kinder beschult deshalb ihre beiden ältesten acht und sieben Jahre alten Kinder nach dem Konzept einer „Freien Christlichen Schule“ zu Hause. Die Landesschulbehörde hatte 2019 einen Antrag auf Befreiung der Kinder von der Schulpflicht abgelehnt. Eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung steht insoweit noch aus. Der Vater der Kinder wurde in insgesamt 15 Verfahren wegen Verstößen gegen die Schulpflicht zu Bußgeldern verurteilt.

Das Amtsgericht Rotenburg (Wümme) hatte keine familiengerichtlichen Maßnahmen ergriffen, weil bei den Kindern aktuell noch keine Defizite beim Wissensstand oder den Sozialkompetenzen zu erkennen seien. Diese Entscheidung hat der Familiensenat des Oberlandegerichts auf die Beschwerde des Jugendamtes hin abgeändert. Er hat den Eltern das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten entzogen und das Jugendamt insoweit als sog. Ergänzungspfleger bestellt. Das Jugendamt kann damit anstelle der Eltern die maßgeblichen Entscheidungen im Hinblick auf den Schulbesuch treffen und notfalls auch die Herausgabe der Kinder für den Schulbesuch erzwingen.

In Fällen, in denen das Wohl eines Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, diese Gefahr abzuwenden, hat das Familiengericht nach § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Der Familiensenat hat hier eine akute Gefährdung des Wohls der beiden ältesten Kinder gesehen.

Zum einen gelinge es den Eltern nicht, die Kinder mit ausreichendem Wissen auszustatten und sie damit auf spätere schulische Prüfungen sowie auf eine Berufsausbildung vorzubereiten. Die Eltern konnten schon das Konzept der von ihnen durchgeführten Beschulung nicht nachvollziehbar beschreiben. Darüber hinaus unterrichtet die Mutter, die über einen erweiterten Realschulabschluss verfügt, die Kinder nur wenige Stunden am Tag und dies überwiegend auch neben der Betreuung der weiteren fünf Geschwister. Obwohl sie von einer „Freien Christlichen Schule“ eine gewisse Unterstützung erhält, wären die Kinder auf diesem Weg nach Auffassung des Senats später mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, einen staatlich anerkannten Schulabschluss zu erwerben.

Zum anderen könnten die Kinder so auch keine sozialen Kompetenzen erwerben, die es ihnen ermöglichten, sich mit andersgläubigen Menschen auseinanderzusetzen und sich in einer Umgebung durchzusetzen und zu integrieren, in der die Mehrheit der Menschen nicht entsprechend den Glaubensvorstellungen der Familie leben. Die Kinder wachsen ohne jeden Kontakt mit gleichaltrigen Kindern außerhalb ihrer Gemeinde auf. Sie haben keinen Zugang zu Computern oder zum Fernsehen und können damit auch nicht indirekt am sozialen Leben außerhalb der Gemeinde teilnehmen.

Der Senat hat bei seiner Entscheidung berücksichtigt, dass es aufgrund der durch Artikel 4 des Grundgesetzes (GG) verbürgten Glaubensfreiheit und des in Artikel 6 GG gewährleisteten Erziehungsrechts die Aufgabe und das Recht der Eltern ist, ihren Kindern Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten. Dennoch sei die getroffene Entscheidung zum Schutz der Kinder erforderlich und verhältnismäßig. Zwar werden die Kinder bei einem Schulbesuch unter anderem mit der Evolutionstheorie, der Sexualkunde und der Gleichberechtigung von Mann und Frau konfrontiert, was die Eltern hier im Hinblick auf ihre Glaubensüberzeugungen verhindern wollen. Allein durch die Behandlung dieser Unterrichtsstoffe sind die Eltern aber nicht daran gehindert, ihre Kinder in Glaubensfragen nach eigenen Vorstellungen zu erziehen.



Ansprechpartner:

Andreas Keppler

Richter am Oberlandesgericht

Pressesprecher

Telefon: 05141 / 206 777

01525 6798160


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Artikel-Informationen

erstellt am:
25.06.2021

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