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Folgen der Thomas-Cook-Pleite: Experte für Reiserecht erklärt Hintergründe

- Prof. Dr. Ansgar Staudinger zu Gast bei der Vortragsreihe des Oberlandesgerichts Celle -


CELLE. Nachdem das Oberlandesgericht für die letzte Veranstaltung der Vortragsreihe in die Stadtkirche St. Marien umgezogen war, konnte der Vortrag am 17. Dezember 2019 wieder in gewohnter Umgebung im Vortragssaal des Oberlandesgerichts stattfinden.

Das Thema des Vortrags war an Aktualität kaum zu überbieten, denn Prof. Dr. Ansgar Staudinger referierte zu den Insolvenzen von Air Berlin, Germania und Thomas Cook, die er „Bewährungsproben für das Reiserecht“ nannte.

Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle Stefanie Otte stellte den Referenten als ausgewiesen Experten für dieses Thema vor, denn Ansgar Staudinger ist nicht nur Inhaber eines Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privat-, Verfahrens- und Wirtschaftsrecht und u.a. Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages, sondern außerdem Direktor der Forschungsstelle für Reiserecht der Universität Bielefeld. Dabei hätte Staudinger fast einen ganz anderen Berufsweg eingeschlagen, wie Otte erklärte: „Wäre er nicht Jura-Professor geworden, dann könnten wir ihn heute als Konzertpianisten begrüßen.“

In seinem Vortrag zeigte Staudinger die Hintergründe dafür auf, dass den Kunden des insolventen Reiseveranstalters Thomas Cook für etwaige Rückerstattungsansprüche nur eine Haftungssumme von insgesamt € 110 Mio. pro Geschäftsjahr zur Verfügung steht. Dieser Betrag wird bei weitem nicht ausreichen, um die Ansprüche sämtlicher Kunden - die sich Schätzungen zufolge auf bis zu € 500 Mio. belaufen könnten - befriedigen zu können. Tatsächlich müssten die üblicherweise im Voraus geleisteten (An-)Zahlungen der Reisenden gegen die Insolvenzrisiken des Reiseveranstalters vor und nach Reisebeginn aufgrund einer EU-Richtlinie vollständig abgesichert sein. Dass in Deutschland nach § 651 r Abs.3 Satz 3 BGB demgegenüber die Möglichkeit der Beschränkung dieser Absicherung auf einen Höchstbetrag von € 110 Mio. besteht, stellt nach Ansicht Staudingers einen handwerklichen Fehler bei der gesetzlichen Umsetzung der EU-Richtlinie dar. Diesen Fehler habe die Bundesregierung infolge der Thomas-Cook-Pleite offenbar erkannt und er sei möglicherweise auch Anlass für die Ankündigung vom 11. Dezember 2019 gewesen, die betroffenen Kunden aus Steuergeldern zu entschädigen. Ob der Bund wegen des handwerklichen Fehlers bei der Gesetzgebung rechtlich verpflichtet sei, die Kunden zu entschädigen, zog Staudinger allerdings in Zweifel. Gerade weil die Haftungsfrage schwierig zu beantworten sei, stelle sich weiter die Frage nach dem Motiv für die bereitwillige Haftungsübernahme durch die Bundesregierung. Nach Ansicht Staudingers könne das Motiv möglicherweise darin liegen, dass Deutschland in den vergangenen Jahren bereits mehrfach wegen fehlerhafter Umsetzung von EU-Richtlinien zum Reiserecht vom Europäischen Gerichtshof gerügt wurde und eine erneute Rüge vermieden werden solle. Staudinger ließ aber keinen Zweifel daran, dass er die Zahlung von mehreren hundert Millionen Euro zur Vermeidung einer solchen Blamage für nicht gerechtfertigt hält. Auch wenn die Folgen der Thomas-Cook-Pleite die Kunden im Einzelfall hart treffen würden, handele es sich bei Reisen doch letztlich um ein Luxusprodukt und nicht um einen Fall der Daseinsvorsorge, die der Staat im Rahmen der Grundversorgung gegenüber den Bürgern zu gewährleisten hat.

In der Bundesregierung werde bereits, so erklärte Staudinger weiter, an Gesetzesentwürfen zur Verbesserung der Absicherung von Kundengeldern gearbeitet. Für die betroffenen Kunden der Thomas-Cook-Pleite werden künftige Gesetzesänderungen aber keine Auswirkungen haben.

Mit anhaltendem Applaus dankten die Besucherinnen und Besucher der Vortragsreihe dem Referenten für dessen wortgewandt und unterhaltsam gehaltenen Vortrag, mit dem dieser einen kritischen Blick auf das Handeln der Bundesregierung, der Versicherungs- und der Reisewirtschaft warf.

Dr. Rainer Derks

Richter am Oberlandesgericht

Pressesprecher

Telefon: 05141 / 206 777

01525 679 8160


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  Bildrechte: OLG Celle

Prof. Dr. Ansgar Staudinger und Stefanie Otte

Artikel-Informationen

erstellt am:
19.12.2019

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