Ein Landtagsabgeordneter macht sich strafbar, wenn er öffentliche zum „Schottern“ aufruft
Celle. Etwa 1.780 Unterzeichner, darunter auch der Angeklagte, hatten sich im Jahr 2010 auf einer frei zugänglichen Internetseite mit ihren Namen in eine dort veröffentlichte Liste eingetragen, um die angekündigte „Schotter - Aktion“ anlässlich des Castortransportes zu unterstützen. Ziel der Aktion war es den damaligen Castor - Transport aufzuhalten. Durch Entfernung der Schottersteine aus dem Gleisbett der Schienenstrecke, sollte die Standfestigkeit des Gleisbettes derart beeinträchtigt werden, dass die Strecke unbefahrbar würde (sog. Schottern).
Das Oberlandesgericht Celle hatte mit Beschluss vom 14. März 2013 (31 Ss 125/12) entschieden, dass ein solcher Aufruf zum „Schottern“ für sich schon eine Straftat darstellt, vgl. Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Celle 10/13 vom 25. März 2013.
Der Angeklagte ist Abgeordneter der Partei „Die LINKE“ im Thüringischen Landtag.
Nachdem der Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten des Thüringer Landtages auf Antrag der Staatsanwaltschaft Lüneburg die Immunität des Angeklagten, also den Schutz eines Abgeordneten davor, ohne Genehmigung des Parlaments wegen einer Straftat verfolgt zu werden, aufgehoben hatte, sprach das Amtsgericht Lüneburg den Angeklagten mit Urteil vom 02.05.2013 vom Vorwurf der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten frei. Ihm komme der persönliche Strafausschließungsgrund der Indemnität zugute, also die Straffreiheit bei Abstimmungshandlungen und Äußerungen im Parlament. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Sprungrevision eingelegt.
Der 2. Strafsenat hat nunmehr festgestellt (Urteil vom 15. November 2013, Az.: 32 Ss 135/13), dass sich der Angeklagte nicht auf die landesverfassungsrechtlichen Indemnitätsvorschrift des Art. 55 Abs. 1 Thüringische Verfassung berufen kann.
Nach Art. 55 Abs. 1 Thüringer Verfassung dürfen Abgeordnete zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie im Landtag, in einem seiner Ausschüsse oder sonst in Ausübung ihres Mandats getan haben, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Landtags zur Verantwortung gezogen werden.
Der Regelungsbereich dieser Norm sei nicht eröffnet, denn er sei auf das Abstimmungsverhalten und Äußerungen aller Art im Landtag zu beschränken, also auf die öffentliche Debatte im Plenum, in den Ausschüssen und in den anderen Vorbereitungsgremien, nicht aber auf Äußerungen außerhalb des Landtages, etwa in Wahlversammlungen und anderen politischen Veranstaltungen in der Öffentlichkeit oder in der Partei oder anderen nichtparlamentarischen Gremien. Hieraus folge, dass Äußerungen, die ein Abgeordneter außerhalb des Landtages und seiner Ausschüsse im öffentlichen Raum ‑ zu dem auch das Internet zählt ‑ tätigt, nicht geschützt seien.
Hieran könne auch der Umstand nichts ändern, dass der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen seinen Eintrag in die Unterstützungsliste mit dem Zusatz „MdL Die LINKE.Thüringen“ versehen hat, denn dieser Zusatz weise allein auf seinen Status als Landtagsabgeordneter hin, nicht aber auf einen vermeintlich geschützten Handlungsbereich.
Der Strafsenat hat gleichzeitig zu erkennen gegeben, dass die Normen des Landesverfassungsrechts die Regelung des § 36 StGB weder einengen noch ausdehnen können, soweit es um die strafrechtlichen Folgen der Indemnität geht. Der Bundesgesetzgeber habe von seiner Strafrechts-Kompetenz abschließend Gebrauch gemacht, sodass nach Artikel 31 des Grundgesetzes ‑ Bundesrecht bricht Landesrecht ‑ die landesverfassungsrechtlichen Indemnitätsnormen nicht anzuwenden seien.
Der Pressesprecher und Richter am Oberlandesgericht Dr. Götz Wettich erläutert: „Die Entscheidung bewegt sich auf der Schnittstelle von Meinungsfreiheit, Föderalismus und Strafrecht.
Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Klärung des Verhältnisses von Strafgesetzbuch und Landesverfassung war aber deshalb nicht erforderlich, weil auch die Auslegung der Thüringischen Landesverfassung nichts an der Strafbarkeit des Verhaltens des Angeklagten ändert.
Ein anderer Strafrichter des Amtsgerichts Lüneburg hat nunmehr erneut über den Vorwurf zu entscheiden. Er ist dabei an die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Celle gebunden, so dass zumindest ein Freispruch unwahrscheinlicher geworden ist.“
Die sog. Indemnität ist in § 36 des Strafgesetzbuchs geregelt. Dort heißt es: Mitglieder des Bundestages, der Bundesversammlung oder eines Gesetzgebungsorgans eines Landes dürfen zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie in der Körperschaft oder in einem ihrer Ausschüsse getan haben, außerhalb der Körperschaft zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.
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Ansprechpartner/in:
RiOLG Antonius Dr. Hüntemann, Pressesprecher