Justizministerin Dr. Kathrin Wahlmann bei der Vortragsreihe des Oberlandesgerichts Celle: „Wir müssen das Heft des Handelns in die Hand nehmen und die Bürgerinnen und Bürger schützen“
Bei der Vortragsreihe des Oberlandesgerichts Celle sprach die Niedersächsische Justizministerin am 4. Dezember 2024 über die besonderen Herausforderungen, die auf die Justiz in Zeiten des Wandels zukommen
„Wir müssen das Heft des Handelns in die Hand nehmen und die Bürgerinnen und Bürger schützen, wo immer es nötig ist“, sagt Dr. Kathrin Wahlmann am Ende ihres Vortrages im Oberlandesgericht Celle.
Wo muss die Justiz standhaft bleiben? Wo braucht die – manchmal auch als angestaubt wahrgenommene Justiz – aber auch Veränderungen? Das sind nur einige Fragen, die die Niedersächsische Justizministerin unter dem Thema „Wie sichern wir unseren Rechtsstaat? Voraussetzungen für eine unabhängige Judikative“ bewegen.
„In diesen Tagen hört man oft, wir leben in bewegten Zeiten“, so die Ministerin. Allerdings sei jede Zeit bewegt gewesen, wenn man auf die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zurückblicke. Zu keiner Zeit hätten am Zeitgeschehen interessierte Personen gesagt, dass gerade nichts los sei. Gesellschaftliche und technologische Entwicklungen wirkten sich auf die Justiz aus, beispielsweise politische Entscheidungen, die zu steigenden oder sinkenden Eingangszahlen führen. Auch der Wandel in der Arbeitswelt und neue Wirtschaftsmodelle oder die Entwicklung künstlicher Intelligenz hätten Auswirkungen auf die Belastung der Gerichte.
Die Ministerin beklagt zudem eine Radikalisierung der Gesellschaft, die im Zuge der Corona Pandemie deutlich zugenommen habe. Insbesondere in den sozialen Netzwerken komme es vermehrt zu Beleidigungen, Verleumdungen und Volksverhetzungen. Es habe sich eine „Kultur des Dagegenseins“ entwickelt, die sich insbesondere in der Ablehnung der etablierten Politik zeige und in Teilen sogar in eine Kultur des Hasses und in Umsturz- und Säuberungsfantasien kanalisiere. Printmedien und lineares Fernsehen verlören immer mehr an Bedeutung, warnt Dr. Kathrin Wahlmann. Gerade junge Menschen bezögen Informationen oft nur noch aus Social-Media Portalen, deren Inhalte keiner journalistischen Kontrolle unterlägen, sondern von dem jeweiligen Algorithmus des Betreibers geprägt seien. Die Ministerin mahnt: „Wir Menschen, wir demokratischen Gesellschaften haben das menschengeschaffene Internet nicht im Griff“.
In Deutschland liefen derzeit Diskussionen, wie wir – vor dem Hintergrund der Gefahren für den demokratischen Rechtsstaat - unsere Institutionen resilient machen können. Das betreffe insbesondere die Justiz und das Bundesverfassungsgericht, erklärt die Niedersächsische Justizministerin. Beispiele wie Polen oder Ungarn zeigten, dass autoritäre Kräfte die freie Presse und die Justiz beim Umbau eines Staates oft als erstes Ziel ins Visier nähmen. Demokratinnen und Demokraten müssten aus diesen Entwicklungen die richtigen Schlüsse ziehen und der Rechtsstaat müsse gegen jede Art von Angriffen gewappnet und verteidigt werden. Die Ministerin bekräftigt in diesem Zusammenhang ihr Anliegen, die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts besser abzusichern und hofft auf eine Übernahme zentraler Strukturvorgaben in das Grundgesetz noch in dieser Legislaturperiode.
Die Justiz genieße bei den Bürgerinnen und Bürgern großes Vertrauen. Nicht zuletzt die verhältnismäßig kurze Verfahrensdauer in der niedersächsischen Justiz trotz hoher Belastung und das sehr hohe Niveau in der Rechtsprechung trage zur großen Akzeptanz bei. Allerdings sei die Belastung in der Justiz unterschiedlich verteilt, insbesondere die Strafjustiz sei äußerst stark belastet, erklärt die Ministerin. Grund hierfür seien u.a. um ein Vielfaches gestiegene Eingangszahlen und gute Ermittlungsergebnisse. Justizintern habe man für 2024 bereits durch Umverteilung 40 neue Stellen für die Staatsanwaltschaften gewinnen können und für 2025 wolle man dies fortführen und weitere Stellen auch an den Gerichten schaffen.
Ein besonderer Fokus liege auch auf der Einführung der elektronischen Akte bei allen niedersächsischen Gerichten und Staatsanwaltschaften – eine echte Mammutaufgabe, vergleichbar mit der Umstellung von der Schreibmaschine auf den Computer. Die Justiz sei auf einem sehr guten Weg, aber bis zum gesetzlichen Stichtag, dem 31. Dezember 2025, seien noch einige Schritte zu gehen. Ziel sei es, den Zugang zum Recht für alle Bürgerinnen und Bürger zu erleichtern und die Attraktivität der Justiz weiter zu stärken. Gleichzeitig müsse ausreichend Raum für den persönlichen Kontakt bleiben und die Justiz ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft wahrnehmen. Die Gerichte vor Ort seien gerade für kleinere Städte von Bedeutung und müssten auch in Zukunft erhalten bleiben.
Schließlich wies die Ministerin darauf hin, dass durch die zunehmenden Möglichkeiten KI-gestützten Arbeitens neue Herausforderungen auf die Justiz zukämen. Sichergestellt werden müsse, dass auch künftig Menschen und nicht Maschinen entscheiden. Auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens, in denen KI an Bedeutung gewinne, müsse der Staat das Heft des Handelns in der Hand behalten. Sonst werde die Demokratie gefährdet.
Die Justiz ist die dritte Säule der Staatsgewalt
„Die Justiz ist die dritte Säule der Staatsgewalt. Ohne eine unabhängige, funktionsfähige und an freiheitlich-demokratischen Grundsätzen orientierte Justiz gibt es keine Rechtssicherheit, keinen Rechtsfrieden und letztlich auch keine Gerechtigkeit“, betont die Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle Stefanie Otte. „Mit Veranstaltungen wie der Vortragsreihe wollen wir diese wichtige Aufgabe aufzeigen.“
Im Rahmen der Vortragsreihe will das Oberlandesgericht Celle die Möglichkeit bieten, ins Gespräch zu kommen, zu diskutieren und gelegentlich einen Perspektivwechsel zu wagen. Dabei spiegelt die Vortragsreihe schon seit 1946 die Diskussionen, die unsere Gesellschaft bewegen, in Hunderten von Vorträgen wider.
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Artikel-Informationen
erstellt am:
09.12.2024
zuletzt aktualisiert am:
10.12.2024